Es war in 2010. Wir wohnten wir noch in Bremen. In unserem Haushalt lebten wir mit unseren noch kleinen Kindern und einem Au-Pair-Mädchen. Sie war 19 und kam aus Kolumbien. Eines Tages fuhren wir durch die Stadt und kamen an einem Plakat vorbei, auf dem für ein Fußball-Spiel am kommenden Samstag geworben wurde: Werder Bremen gegen Bayer Leverkusen. Ich erklärte ihr, dass es sich um ein Spitzenspiel handelte, denn Werder Bremen, der Tabellensechste, empfängt den Tabellenersten aus Leverkusen. Sie sah mich an und fragte, was denn besser wäre, Sechster oder Erster.
Die Frage überraschte mich. Dass sich eine 19-jährige Kolumbianerin mit deutschen Fußball auskennt, hatte ich ja nicht erwartet. Aber hier ging es um ein Grundprinzip von Sportarten weltweit. Und da ist es nun einmal besser, Erster zu sein als Sechster. Sie wusste nichts, aber auch gar nichts von der Welt. Aber woher sollte sie es auch wissen?
Doch konnte sie in Rekordzeit Skype auf einem PC installieren und bei Telefonaten mit ihren Freundinnen aus Kolumbien oder beim Schauen von Youtube-Videos Tränen lachen. Selten habe ich so viel Lebensfreude erlebt. Mich hat das nachdenklich gemacht. Ehrlich gesagt hatte ich mir einiges eingebildet auf mein Wissen über die Welt. Aber glücklicher gemacht hatte mich dieses Wissen nicht. Unser Au-Pair wusste nichts von den Problemen der Welt, aber sie war so unglaublich glücklich, dass ich sie darum beneidete.
Und sie hatte einen Plan: Sie wollte erst gutes Deutsch lernen, dann Maskenbildnerin in Deutschland lernen und schließlich in Deutschland an einem Theater arbeiten. Für eine 19-jährige ziemlich klare Ziele. Nun sind 10 Jahre vergangen. Sie hat zunächst ausgezeichnet Deutsch gelernt, dann Maskenbildnerin gelernt und seit ca. 3 Jahren ist sie in diesem Beruf bei einem Theater in Süddeutschland angestellt. Und mein Eindruck ist: Sie ist so glücklich wie eh und je! Ich glaube, sie hat alles richtig gemacht. Die meisten Paraguayer wissen nicht viel von der Welt. Ist das ein Teil ihres Glücksgeheimnisses? Die Zeit lieber in gute soziale Kontakte zu investieren anstatt über die Probleme der Welt zu grübeln?
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